Tirol ist eine Landschaft, in der noch viel an authentischer Volksmusik lebendig ist. Daneben versucht eine intensive Volksmusikpflege, anknüpfend an die Tradition, die überlieferten Weisen, aber auch neues Sing- und Musiziergut weiterzutragen. Mit folgenden Texten wollen wir Ihnen diese Musik etwas näher bringen.




 

 Die Tiroler Volkskultur ist stark durch die bis ins 20. Jahrhundert vorwiegend bäuerliche Bevölkerung geprägt. Die Musik ist eng verbunden mit dem religiösen und weltlichen Brauchtum. Die alpine Viehwirtschaft, besonders das Almleben, spiegelt sich in vielen Liedern und Jodlern wider. Das Volkslied bestimmt wesentlich das religiöse Brauchtum im Lebens- und Jahreskreis. In Tirol findet sich ein besonders reiches weihnachtliches Liedgut, das mit den vielen mittwinterlichen Umzugsbräuchen, wie dem "Anklöpfeln", oder dem "Sternsingen" in Verbindung steht. Gerade mit der Weihnachtsbotschaft, die ja zuerst an die Hirten ergangen ist, konnten sich die Menschen der Alpenländer besonders identifizieren. Die vielen Lieder und Instrumentalstücke des alpenländischen Weihnachtskreises werden heute in dem neu entstandenen Brauch des "Adventsingens" weitergepflegt.





Der Liederschatz des Landes Tirol umfasst alle Bereiche des menschlichen Lebens. Wenn auch die Ausdrucksweise oft Bilder aus dem bäuerlichen Leben verwendet, sind die grundlegenden menschlichen Gefühle wie Liebe, Trauer, Lebensfreude und Naturerlebnis allgemein gültig und zeitlos. Die Sprache des Volksliedes ist voll von Poesie. Sehr häufig ist der Dialekt. Einen großen Bereich bildet das Liebeslied. Hier ist die Sprache besonders reich an Metaphern, sie ist oft verschlüsselt und vermeidet Direktheit. Ein herausragender Bereich des Volksliedes ist das Almlied. Trotz der harten Arbeit auf den Almen und trotz der primitiven Lebensweise wird das Almleben verherrlicht. Dies mag seinen Grund vor allem im besonderen Gefühl der Freiheit haben, das die Dienstboten, die ja vor allem das Almpersonal bildeten, empfanden, da sie für einige Zeit dem unmittelbaren Einfluss des Bauern am heimatlichen Hof entgehen konnten. Die Vorfreude auf die Almauffahrt, die Sommerzeit auf der Hoch- und Niederalm, aber auch die Wehmut über das Ende der Almzeit im Herbst ist Inhalt zahlreicher Lieder. Eine weitere wichtige Gattung des Tiroler Volksliedes ist der Vierzeiler, auch Gstanzl genannt. Beim Vierzeiler wird in kürzester Form eine meist lustige, oft auch spöttische oder kritische Aussage gemacht. Usprünglich hatten diese Gstanzln ihre Funktion während des Tanzes, wobei die Tänzer ihre oft spontan erdachten Vierzeiler manchmal auch im Wettstreit sangen.





Auch er hat seine Wurzel in der Almkultur. Aus den ursprünglichen Verständigungsrufen ("Schroa") oder den spontanen Schreien aus lauter Lebensfreude ("Juchezer") hat sich eine hochentwickelte Gesangskunst entwickelt. Die Stimmgebung ist geprägt durch den ständigen Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme (Falsett). Besonders bemerkenswert ist die Mehrstimmigkeit, die von der einfachen, austerzenden Zweistimmigkeit bis zur vielstimmigen Polyphonie reicht.



In Tirol werden all die Volksinstrumente verwendet, die auch sonst in der alpenländischen Volksmusik vorkommen.junger Harfenspieler

Als typisches Tiroler Volksinstrument gilt die Tiroler Volksharfe, eine einfache Pedalharfe, etwas kleiner als die Konzertharfe. Charakteristisch ist die kräftige, musikantische Art, mit der die Harfenspieler ihre meist lustigen Stücke darbieten.

so wächst man in die Volksmusik hineinDas Hackbrett hat in Osttirol eine besondere Ausprägung erhalten. Das große, diatonisch gestimmte Instrument wird wegen seines vollen, kräftigen Klanges mit Vorliebe als Begleitinstrument verwendet.

Die Zither ist, wie in allen anderen Alpenländern in Tirol sehr beliebt. In Südtirol hat sich eine ursprünglichere Form dieses Instrumentes erhalten, das Raffele. Die nur drei Saiten dieser kleinen Zither werden mit einem Plektron angeschlagen. Die Geige ist, wie in ganz Europa, auch in Tirol ein wichtiges Volksinstrument, mit dem besonders im Zillertal zum Tanz aufgespielt wird. Dort hat sich eine besonders typische, unverwechselbare Spielart dieses Instrumentes entwickelt.



Im Bereich instrumentaler Ensembles kann man in Tirol zwei Grundtypen unterscheiden. Bei der  Tanzlmusikwerden kräftigere Instrumente bevorzugt. Flügelhorn (oder Trompete) und Klarinette, dienen als Melodieinstrumente, Ziehharmonika, Harfe und Bass bilden gemeinsam mit der Gegenstimme einer Posaune die Begleitung. In dieser oder in ähnlichen Besetzungen spielen viele Gruppen im ganzen Land gerne bei Tanzveranstaltungen auf.

Eine neuere Besetzungsart ist die  Stubenmusik . Sie ist in gewissem Sinn die Entsprechung zur Kammermusik. Mit Saiteninstrumenten, wie Zither, dem chromatischen Hackbrett, Harfe, Gitarre und Bass-
geige wird für den kleinen, intimen Rahmen gespielt.





Die instrumentale Volksmusik in Tirol ist fast ausschließlich Tanzmusik.

Die bevorzugten und besonders typischen Tänze sind der  Landler und der  Boarische . Darüber hinaus werden aber auch gerne Walzer, Polkas und Märsche gespielt.

Die für Tirol charakteristische Form des Ländlers ist die aus Sechzehntaktgruppen bestehende Ländlerkette im Dreivierteltakt. Die Melodie besteht aus Dreiklangszerlegungen und wird meist sehr schwungvoll (schneller als der Walzer) gespielt.

Der Boarische ist eine der in Tirol noch wirklich lebendigen Volkstanzformen. Im eher gemütlichen Zweivierteltakt lässt er den Tänzern eine Fülle von Variationen offen.




Eine systematische Erforschung der Volksmusik hat in Tirol erst im 19. Jahrhundert begonnen. Aufzeichnungen vieler Forscher bilden die Grundlage der Volksmusikpflege, die im 20. Jahrhundert eingesetzt hat. Sie will die vor allem durch die beiden Weltkriege unterbrochene volksmusikalische Tradition fortsetzen.

Der Tiroler Volksmusikverein bemüht sich seit mehr als 50 Jahren sehr um die Volksmusikpflege, mit dem Ergebnis, dass auch unter Tirols Jugend eine starke Volksmusikbewegung entstanden ist.

Trotz des starken Tourismus, der unser Land mit vielerlei fremden Einflüssen konfrontiert, hat Tirol seine Volksmusik bewahren können. Vor allem die Familien sind Heimstätte des Musizierens. Aber auch an vielen Musikschulen wächst eine Jugend heran, die - meist bestens geschult - nicht nur in der Volksmusik, sondern auch im Bereich der klassischen Musik bestehen kann.

Peter Reitmeir


 

Tanzmusik in Tirol





 

Die Tiroler Volkstänze sind von einem großen Formenreichtum, was ihre Choreographie anbelangt. Vom musikalischen Standpunkt lassen sich diese Tänze in sechs Gruppen zusammenfassen:

Ländler, Walzer, Mazurka, Bayrisch Polka (Rheinländer), Polka und Marsch.

Die Großformen, deren Figuren oft sicher weit in die Vergangenheit zurückreichen, haben meistens Melodien, die der allgemeinen Tanzmusik, vor allem des 19.Jahrhunderts, entsprechen.  Der Bandltanz hat eine Walzermelodie, der Agattanz eine Ländlermelodie, Wenner Achter, Reiftanz und Fackeltanz haben Marschmelodien. Obengenannte Tanzformen sind im ganzen Alpenraum in etwas unterschiedlicher Art verbreitet. Hier soll auf die Tiroler Eigenheiten dieser Tänze eingegangen werden.

Wie im gesamten Alpenraum ist auch in Tirol der Landler einer der wichtigsten und charakte-ristischsten Tänze, daher soll ihm hier auch der breiteste Raum gewidmet sein. Neben Landler kommen auch noch die Namen Deutscher oder einfach Tanzl vor. Im Wesentlichen können hier zwei Grundtypen unterschieden werden: die ältere achttakige und die jüngere sechzehntaktige Form.

Beide haben gemeinsam, sicher besonders typisch, daß hier im Dreivierteltakt alle Taktschläge nahezu gleich betont werden. Dies zeigt sich auch in der Tanzausführung, wobei sowohl im langsamen, als auch im schnellen Tempo auf jede Viertelnote alle Schritte mit gleichem Gewicht gesetzt werde. Man sagt im Volksmund „durchtrettln“.
Die Melodie entsteht meist durch Dreiklangszerlegungenoft auch durch nachschlagendeTerzen oder Sexten, oder als Seitenbewegung mit einem nachschlagenden Ton.

Die achttaktige Form:

Sie kann mit dem verglichen werden, was in anderen Gegenden als Steirer bezeichnet wird und ist im Spielgut der meisten Volksmusikanten kaum mehr vorhanden. Diese Art der eher langsam gespielten achttaktigen Melodien ist nur mehr in wenigen altertümlichen Landlerformen überliefert. Als einigermaßen vollständige Formen mit einigen Figuren können der Zillertaler Landler, der Ahrntaler Landler oder der Deutsche aus Lüsen angesehen werden. Ansonsten gibt es eine Reihe von Kurzformen, bei denen die gleiche Figur ständig wiederholt wird. Sie werden im Volksmund auch Dreher oder Masolka genannt. Hier liegt sicher eine Beeinflußung durch die Mazurka vor, die den gleichen Takt hat und eher langsames Tempo aufweist. Da die Musikanten unter Landler heute einen schnellen Tanz mit sechzehntaktigen Perioden verstehen, ist es zu der verballhornten Form des Wortes Mazurka gekommen.

Tänze, wie die Kalser Masolka, der Einfacher Dreher, der Doppelte Dreher, die Wattentaler Masolka

und die Masolka zu dritt gehören zu diesem Typus.




Wirklich lebendig sind in Tirol die sechzehntaktigen Landler. Die musikalische Form dieser Landler entspricht der Form der meisten heutigen Volksmusikstücke. Meistens sind drei Teile vorhanden, wobei der 1.Teil in der Tonart der Tonika, der zweite auf der Dominante und der dritte Teil auf der Subdominante gespielt wird. Oft steht am Anfang ein Eingang, selten (meist nur mehr bei Zillertaler Stücken) am Ende ein Ausgang.

Das Tempo ist sehr rasch. Meist wird darauf Walzer getanzt. Ein Walzer, bei dem, wie oben erwähnt

alle Schritte gleich betont und kurz gesetzt werden. Die Melodien mancher Figuren-tänze sind auch derartige Landler. Z.B.: Dreiertanz oder Tiroler Figurentanz.

Formaler Verlauf eines Landlers.
Eingang (4 Takte) – 1.Teil+WH (16+ 16 Takte) 2.Teil+WH (16+16 Takte) – 1.Teil (16. Tak-te) – 3.Teil+WH(16+16 Takte) evtl. 1.Teil und 3.Teil – Ausgang (4, 6 oder 8 Takte).


Die Grenze zwischen Walzer und Landler ist in Tirol fließend. Oft wechselt innerhalb eines Stücks der Charakter, so daß auf einen eher walzerartigen Teil ein landlerischer folgt. So ist es auch z.B. beim Neubayrischen. (1.Teil: Walzer, 2.und 3.Teil: Landler)
Generell hat der Walzer gegenüber dem Landler eine eher ruhige Melodie, die mehr aus Hal-ben- und Viertelnoten besteht.

Manchmal kommt es auch zur Hemiolenbildung. Damit ist eine Überlagerung von Dreiviertel- und Dreihalbetakt Während die Melodie im Dreihalbetakt fortschreitet, hat die Begleitung Dreivierteltakt. Das führt dazu, daß im jeweils zweiten Takt auf Eins in der Melodie eine übergebundene Note oder eine Pause steht. Die Eins wird nur vom Baß ausgeführt.
Neben dem Walzer-Rundtanz haben eine Reihe von Tänzen Walzermelodien: Offener Walzer, Neubayrischer, Studentenpolka (1.Teil), Bandltanz, etc..


Am Beginn des 19.Jahrhunderts wurde der polnische Volkstanz Mazurka in vereinfachter Form als Polka-Mazurka oder Varsovienne zum Modetanz und hat als solcher weite Verbrei-tung auch in Tirol erfahren. Hier ist es nun zu einer gegenseitigen Beeinflussung mit dem heimischen Landler gekommen.

Der Name für die daraus hervorgegangenen Tänze ist in Tirol Masolka. Es gibt nun Melodien, die, wie oben erwähnt, wegen des langsamen Tempos als Masolka bezeichnet werden, obwohl sie eigentlich reine Ländlermelodien sind. Es gibt aber auch eine Reihe von Melodien, die noch den charakteristischen punktierten Mazurkarhythmus aufweisen. Dazu gehören die Melodien der Masolka aus dem Passeiertal, des Krauttreters,

der Iseltaler Masolka, oder des Knödeldrahners.


Dieser Tanz ist in Tirol als Volkstanz noch am meisten in Verwendung. Dies zeigen auch die vielfältigen Möglichkeiten in der Tanzausübung. Horak beschreibt neun verschiedene Tanzformen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Formen, die oft spontan getanzt werden.
Die musikalische Form entspricht dem Modell, wie es beim Landler beschrieben wurde. Normalerweise hat der Boarische achttaktige Perioden. Es gibt allerdings eine Reihe von meist neueren Stücken, die auch sechzehn Takte aufweisen.
Das rhythmische Grundmuster ist folgendes:

Dieses rhythmische Modell findet sich auch in zahlreichen Tänzen. Z.B. Rheinländer, Siebenschritt oder Bauernmadl.



Dieser Tanz kommt in verschieden Formen vor. Als Rundtanz wird die Polka meist sehr rasch gespielt. Der Unterschied zum Marsch ist vom Rhythmus her kaum erkennbar, eher vom formalen Ablauf. Volkstänze im Polkarhythmus sind. Hiatamadl, Neukatholisch und Kreuzpolka.
Die Form entspricht dem unter dem Kapitel Landler beschriebenen Modell der meisten heutigen Volksmusikstücke. Das rhythmische Muster ist wie folgt:



Wie schon erwähnt, sind in der Tiroler Tanzmusik die Märsche manchmal nicht leicht von den Polkas zu unterscheiden, zumal auf beide Polka getanzt wird. Die Melodien der Polkas sind meist lebhafter. Ältere Märsche, z.B. für Schwegelpfeifen, sind oft im Sechsachteltakt. In älteren Handschriften finden sich manchmal feierliche Aufzüge. Die heute üblichen Märsche stehen ganz in der Tradition der österreichischen Militärmärsche. Komponisten wie Gottlieb Weißbacher haben zahlreiche Stücke geschrieben, die gerne auf den Tanzböden gespielt werden. Aus Platzgründen soll auf das Thema Marsch hier nicht weiter eingegangen werden. es wäre aber eine umfangreichere Arbeit wert.



Die Tiroler Tanzweisen sind durchwegs zweistimmig mit Begleitung. Es kommt sowohl die austerzende Zweistimmigkeit (in Terzen und Sexten mit Hornquinte) als auch die Überschlagszweistimmigkeit vor, die erste Möglichkeit bei Melodien, die keine starke Bewegung haben und häufig in Sekundintervallen fortschreiten, die zweite bei der stärker bewegten alpenländischen Dreiklangsmelodik, besonders beim Landler. Besonders typisch für Tirol scheint die Hauptstimme mit begleitender Unterstimme zu sein.



Wie oben erwähnt, wird die Melodie in den Tiroler Tanzweisen meist zweistimmig geführt. Dazu treten dann Begleitstimmen, die, von unten nach oben, folgende Begleitung haben.
Baß, Akkord und Rhythmus, und manchmal auch eine, den Klang ausfüllende Gegenstimme.
Instrumente wie Harfe oder Harmonika können diese Funktionen allein ausfüllen.
Heute oft anzutreffende Besetzungen:

Diese Besetzungen sind in Tirol traditionell und haben Vorbilder, denen gerne nachgeeifert wird.

Wie alte Bilder beweisen, war einstmals das diatonische Hackbrett ein wesentliches Element in der Tiroler Tanzmusik.

In den letzten Jahren erlebt das diatonische Osttiroler Hackbrett eine Renaissance, sodaß heute kaum eine Tiroler Tanzlmusig ohne Hackbrett spielt. Eine Tiroler Besonderheit ist die Volksharfe als Akkord-und Rhythmusinstrument. Mit ihren kräfti-gen, meist kurz und hart angeschlagenen Akkorden dringt sie auch bei einer größeren Bläserbesetzung durch und gibt der Musik Schwung und Klangfülle.

Die Geige, vor einigen Jahren in der Volksmusik scheinbar vom Aussterben bedroht, kommt immer mehr in Verwendung, noch mehr sind es aber die Blasinstrumente mit denen zum Tanz aufgespielt wird. In vielen Blaskapellen formieren sich Musikanten zu einer „Tanzlmusig“.

Die Tiroler Tanzmusik fügt sich in ihrer Erscheinungsform in den allgemeinen alpenländischen Stil ein, hat aber, was Melodiebildung, Rhythmus, Form und Instrumentarium anbelangt, durchaus eigenständige Züge.

Peter Reitmeir

Literatur:
Horak Karl, Tiroler Volkstanzbuch, Innsbruck 1974.
Horak Karl, Zillertaler Musikanten, München - Innsbruck 1988.
Horak Karl, Instrumentale Volksmusik aus Tirol (=Volksmusik in Tirol, Quellen,
Dokumente und Studien, Bd.2), Innsbruck 1985.
Tiroler Saitenmusikmappe, (=Tiroler Notenstandl, Heft 6),
Eigenverlag Tiroler Volksmusikverein, Innsbruck1998.

Überlegungen zum Weisenblasen von Stefan Neussl



Innerhalb der vielen Formen unserer alpenländischen Volksmusik erfreut sich die - relativ junge - Disziplin des Weisenblasens ständig steigender Beliebtheit. Weisenblasen ist gleichsam "modern", wenn man diesen Begriff überhaupt in Zusammenhang mit echter Volksmusik verwenden möchte. Noch nie haben sich so viele Bläser mit dieser Disziplin innerhalb unserer alpenländischen Volksmusik beschäftigt und auseinandergesetzt.Besonderes Interesse wird dem Weisenblasen aus dem Bereich der Blasmusik entgegengebracht. Zahlreiche Kapellmeister wissen bereits um den Wert des Musizierens in Weisenbläserform und fördern diese Art des Spiels in kleinen Gruppen innerhalb ihrer musikalischen Reihen.

Grundvoraussetzungen für ein stimmiges Musizieren als Weisenbläser, vom Flügelhornduo bis zum vierstimmigen Bläsersatz, sind guter Ansatz, solide Tonbildung und Tonkultur, sichere und präzise Ansprache, Intonations-Sicherheit, und - als wichtigstes Element - das "Gespür" füreinander.

Gemeinsames phrasieren und atmen - möglichst nahe am Vorbild des Volksliedes, das gerade geblasen wird - sind Ausdruck dieses Miteinanders und lassen dann eine Weis' wie "aus einem Guss" klingen. Ein zu starres Festhalten an den notierten Notenwerten ist genauso hinderlich wie eine zu scharfe bzw. harte Tonansprache - gefragt ist gleichsam ein "Rubato-Cantabile-Stil".

Nicht jedes Lied eignet sich, als Weis' geblasen zu werden, und nicht um jeden musikalischen Preis muss es von jedem alpenländischen Volkslied auch eine Fassung für Weisenbläser geben. Neuschöpfungen ("Bläserweisen") tun gut daran, sich an Phrasierung und Akkordwelt unseres überlieferten Liedgutes zu orientieren. Kein Volksliedsänger würde beispielsweise auf die Idee kommen, acht- oder noch mehrtaktiger zu phrasieren; und nur weil wir Bläser - allesamt mit guter Ausbildung ausgestattet - dazu in der Lage sind, heißt das noch lange nicht, dass das beim Weisenblasen auch gattungstypisch ist. Schön ist eben, in Anlehnung an ein Wort Goethes, nicht nur was gefällt, sondern was sich auch geziemet.

Hinsichtlich der Verwendung der Tonarten ist festzuhalten, dass bekanntlich b-Tonarten eher dunkel, #-Tonarten eher hell und strahlend klingen. In den #-Tonarten ergibt sich, zumeist in der 2. Stimme des vierstimmigen Satzes, das Problem, dass d1 und cis1 auf nahezu allen Flügelhörnern viel zu hoch sind, und so sauberes Intonieren eher schwierig wird.

Der vierstimmige Satz für Weisenbläser ist am treffendsten mit dem Eigenschaftswort "dicht" zu beschreiben, das heißt die drei oberen Stimmen werden so lange als möglich in enger Lage, gleichsam dicht beieinander, geführt; das sichert in der Regel einen guten Gesamtklang und erleichtert eine saubere Intonation. Die Tuba bewegt sich im Rahmen der kleinen und großen Oktave und liefert das musikalische Fundament.

Der Satz ist - wiederum in Anlehnung an das Vorbild des Volksliedes - bewusst schlicht gehalten, Akkordumkehrungen und Dissonanzen werden sparsam verwendet. Eine besondere "Farbe" bringt eventuell die Akkorderweiterung der fünften Stufe zur Non (V7/9).

Im vierstimmigen Satz spielen idealerweise zwei Flügelhörner, Ventilposaune und eine Tuba in F oder B. Herrscht hinsichtlich der Verwendung von Flügelhörnern noch völlige Übereinstimmung, so scheiden sich an der derzeit etwas "altmodisch" erscheinenden Ventilposaune jedoch die Geister. Gerne wird sie durch ein Tenorhorn, ev. auch durch eine moderne Zugposaune ersetzt. Denkt man aber an die Funktion dieser dritten Stimme, so ist festzuhalten, dass sie niemals eine Hauptstimme ist, zumeist hat sie eine dienende, füllende Funktion. Und diese kann durch die etwas gedeckt klingende, eng mensurierte Ventilposaune weit besser wahr genommen werden als durch eine moderne, massiv klingende Zugposaune, oder ein eher breit klingendes Tenorhorn. Durch die Verwendung eines Tenorhorns/einer Zugposaune auf der 3. Stimme verschiebt sich das Klanggleichgewicht zu ungunsten der Hauptstimme spielenden Flügelhörner und beeinflusst so den Gesamtklang.Hinsichtlich der Spielweise wurde schon die Art des Spielens in "rubato-cantabile" Manier besprochen; ein paar Bemerkungen zur Verwendung des Vibrato sollen noch folgen.

Wenn wir davon ausgehen, dass wir beim Weisenblasen dem Vorbild des Volksliedsingens nacheifern, so versteht sich die Verwendung eines kultivierten Vibratos von selbst. Eine völlig gerade, ohne jedes Timbre gefärbte Stimme klingt schnell kalt und leblos; selbiges gilt für die Tongebung des Blechbläsers im allgemeinen und für das Weisenblasen im besonderen. Ein Vibrato, das dem Wunsch zur Gestaltung entspringt, ist für Weisenbläser geradezu ein Qualitätsmerkmal. Und im Idealfall gleichen alle vier Bläser die Schwingungsfrequenz ihres persönlichen Vibratos einander an.

Abschließend bleibt noch auf den - betrüblichen - Umstand hinzuweisen, dass das einzige Vorbild des Weisenblasens, nämlich das Volksliedsingen von der positiven Entwicklung des Weisenblasens nicht in gleicher Weise zu profitieren vermochte.

Stefan Neussl, Jänner 2002


 

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